Erbrecht Anfechtung der Erbschaftsausschlagung
Weil die Mutter alkoholkrank war, war die Tochter nicht bei ihr aufgewachsen. Nach ihrem zehnten Geburtstag hatte sie zur Mutter überhaupt keinen Kontakt mehr. Viele Jahre später rief eine Kriminalbeamtin an und teilte mit, dass die Mutter gestorben war: Deren Wohnung im Bahnhofsviertel sei in einem „total chaotischen“ Zustand gewesen. Die Tochter nahm an, die Mutter habe Schulden gehabt. Die Erbschaft schlug sie deshalb aus.
Einige Monate später erhielt sie ein Schreiben des Nachlasspflegers. Er informierte die Tochter darüber, dass zum Nachlass der Mutter ein Konto-Guthaben „im oberen fünfstelligen Bereich“ gehörte. Daraufhin focht sie ihre Willenserklärung an, die Erbschaft auszuschlagen, und beantragte einen Alleinerbschein: Sie sei irrtümlich davon ausgegangen, dass außer Schulden sowieso nichts zu holen sei.
Anfechtbarkeit einer Ausschlagung
Da es sich bei einer Erbschaftsausschlagung oder -annahme um eine Willenserklärung handelt, sind auch grundsätzlich die Regeln über die Anfechtung (§§ 119 ff. BGB) anwendbar. Das heißt, dass eine Anfechtung wegen eines Inhaltsirrtums oder Irrtums über verkehrswesentliche Eigenschaften möglich ist. Gem. § 1957 Abs. 1 BGB gilt eine Anfechtung der Annahme dann als Ausschlagung und eine Anfechtung der Ausschlagung als Annahme. Die Anfechtung muss jedoch gem. § 1954 BGB binnen sechs Wochen seit Kenntniserlangung des Anfechtungsgrundes erfolgen und bedarf gem. §§ 1955, 1945 BGB einer Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht in Form einer Niederschrift oder in öffentlicher beglaubigter Form.
Wie hat das OLG entschieden?
Zunächst hielt das Nachlassgericht die Anfechtung für unwirksam und erhielt somit die Ausschlagung aufrecht. Doch das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt sprach der Klägerin die Erbschaft zu (21 W 146/23). Im Prinzip könne die Ausschlagung eines Erbes wirksam angefochten werden, so das OLG, vorausgesetzt, die Erbin/der Erbe habe sich über eine wesentliche Eigenschaft des Nachlasses geirrt. Habe sich die Erbin/der Erbe über die Zusammensetzung des Nachlasses informiert, aber die Information falsch bewertet, könne eine Anfechtung erfolgreich sein.
Nur wenn die Entscheidung, das Erbe auszuschlagen, völlig spekulativ, d.h. allein auf Basis von Vermutungen getroffen worden sei, berechtige ein Irrtum nicht zur Anfechtung. Im konkreten Fall beruhe die Fehlvorstellung der Tochter im Wesentlichen auf dem Bericht der Kriminalbeamtin von der „vermüllten“ Wohnung.
Die junge Frau sei aufgrund dessen davon überzeugt gewesen, die Mutter habe im sozialen Brennpunkt gelebt und sei komplett „abgerutscht“. Deshalb habe sie fälschlicherweise angenommen, der Nachlass der Mutter könne nur überschuldet sein – ein Irrtum über eine wesentliche Eigenschaft des Nachlasses. Die Tochter habe daher ihre „Ausschlagungserklärung“ wirksam anfechten können.
Quelle: Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 24.07.2024 – 21 W 146/23
- Von Marius Pflaum,
DIRO AG